ZWEI MENSCHEN, EINE VISION
RENÉ JENNY UND BEAT VONLANTHEN | 04.09.2024

Beat Vonlanthen (links) und René Jenny (rechts) sprechen über Herausforderungen und Chancen im Bereich der Life Sciences in der Schweiz.

Die zwei gebürtigen Freiburger spielen für die Life Sciences in der Schweiz zentrale Rollen. René Jenny, Präsident von GRIP-Pharma und ehemaliger Präsident der GIRP (European Healthcare Distribution Association) in Brüssel und Beat Vonlanthen, ehemaliger Präsident von Swiss Medtech (bis Mai 2024) sprechen über Herausforderungen, Chancen und Hoffnungen in diesem strategisch wichtigen Bereich auf regionaler als auch auf nationaler Ebene. In diesem Interview verraten sie uns mehr über die Rolle ihrer Organisationen und die Herausforderungen, mit denen sich die Branche konfrontiert sieht.

Welchen Beitrag leisten GRIP-Pharma und Swiss Medtech zur Life-Sciences-Branche in der Schweiz und im Kanton Freiburg?

René Jenny: GRIP-Pharma ist der Westschweizer Verband der Life-Sciences-Branche. Unser Auftrag ist es, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Mitglieder zu stärken, indem wir den Wissensaustausch fördern und ihre Interessen gegenüber den kantonalen und eidgenössischen Behörden vertreten. Wir sind auch darum bemüht, unsere Mitglieder direkt mit den Instanzen des Gesundheitswesens zu vernetzen. Gleichzeitig stellen wir im Rahmen von Konferenzen und Arbeitsgruppen ihre Weiterbildung in Bereichen wie Qualitätssicherung, Regulierung oder politische Fragen sicher.

Beat Vonlanthen: Swiss Medtech vertritt die Interessen der Medizintechnik-Branche. Auf nationaler Ebene unterstützt der Verband über 1400 Unternehmen, die 70’000 Personen beschäftigen und einen Umsatz von 20 Milliarden Schweizer Franken erzielen. Er ist eine treibende Kraft der technologischen Innovation, indem er sich für bessere Rahmenbedingungen einsetzt, den Zugang zu den internationalen Märkten erleichtert und die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren der Branche fördert. Regionale Initiativen wie Swiss Medtech Romandie tragen dazu bei, dass Freiburg und die Westschweiz in der Life-Sciences-Landschaft der Schweiz an Bedeutung gewinnen.

Welches sind die grössten Herausforderungen, mit denen Ihre Organisationen konfrontiert werden und wie sind diese zu bewältigen?

Beat Vonlanthen: Die Branche hat mit grossen Herausforderungen zu kämpfen, insbesondere aufgrund der administrativen Hürden im Zusammenhang mit der Umsetzung der Medical Device Regulations (MDR) der Europäischen Union. Diese Regulierungen sind zwar für die Gewährleistung der Produktsicherheit unerlässlich, aber aufgrund mangelnder Zertifizierungsstellen haben sie zu Engpässen bei der Versorgung mit Medizintechnikprodukten geführt und es dauert länger, bis Innovationen auf den Markt kommen. In der Schweiz kommt erschwerend hinzu, dass es kein institutionelles Abkommen mit der Europäischen Union gibt, was die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen auf dem europäischen Markt gefährdet. Wir müssen unbedingt Lösungen finden, um diese Hürden zu überwinden und unsere Position zu sichern.

René Jenny: Dem stimme ich voll und ganz zu: Durch die zunehmende Regulierung wird die Innovation gebremst und der Zugang der Patienten zu neuen Behandlungen verzögert. Dieses Problem wird durch das Fehlen eines Rahmenabkommens mit der Europäischen Union noch verschärft, da wir von den grossen F&E-Programmen ausgeschlossen sind und medizinische Geräte und Arzneimittel nicht gegenseitig anerkannt werden. Wir müssen daher unbedingt rasch unsere Beziehungen zur EU verbessern. Zudem führt der ständige Druck auf die Medikamentenpreise dazu, dass viele Produkte vom Markt verschwinden, weil die Produktions- und Vertriebskosten nicht gedeckt sind, was wiederum zum derzeitigen Engpass in der Schweiz beiträgt.

Welche Innovationsmöglichkeiten sehen Sie für die Life Sciences in der Schweiz?

René Jenny: Die Schweiz war im Bereich der Life Sciences immer führend. Nun müssen wir jedoch unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse unbedingt in konkrete Marklösungen verwandeln. Die personalisierte Medizin ist beispielsweise ein vielversprechender Weg, auf dem sich die Schweiz dank unseren Kompetenzen in Biotechnologie und Genomik profilieren könnte. Ausserdem eröffnet sich mit der zunehmenden Integration von digitalen Technologien wie AI, Telemedizin oder vernetzten Geräten ein erhebliches Potenzial für eine bessere Gesundheitsversorgung. Die Innovationsförderung, insbesondere durch Inkubator- und Acceleratorprogramme sowie öffentliche und private Finanzierungen, ist meiner Meinung nach zentral in diesem Bereich.

Beat Vonlanthen: Ich schliesse mich dieser Meinung an: Es gibt tatsächlich zahlreiche Innovationsmöglichkeiten, insbesondere im Zuge der Digitalisierung und der Entwicklung von Materialien. Ich bin seit 40 Jahren Diabetiker und konnte unglaubliche Fortschritte beobachten, wie beispielsweise mit dem Smartphone verbundene Blutzucker-Sensoren. Die Miniaturisierung von medizinischen Geräten und der Einsatz künstlicher Intelligenz sind sehr vielversprechende Innovationsfelder. Es ist hingegen unerlässlich, entsprechend einen soliden rechtlichen und ethischen Rahmen zu entwickeln.

Wie kann die Schweiz ihre Wettbewerbsfähigkeit in den Life Sciences weiter stärken?

Beat Vonlanthen: Wir müssen unbedingt optimale Rahmenbedingungen gewährleisten können. Die Bundesbehörden und die Kantone müssen eng mit den Unternehmen zusammenarbeiten, um die Innovation zu fördern. In Freiburg haben wir mit vielversprechenden Initiativen zur Entwicklung von Start-ups bereits ein solides Fundament gelegt und die Region ist gut aufgestellt, um in diesem Bereich zu einem Innovationstreiber zu werden. Mit Swiss Medtech sind wir eine strategische Zusammenarbeit mit Deutschland und Österreich eingegangen und haben letztes Jahr ein Abkommen unterzeichnet. Dank dieser Allianz können wir Einfluss auf die Regulierungen auf europäischer Ebene nehmen, was von zentraler Bedeutung ist, um unsere Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu erhalten.

René Jenny: Ich denke auch, dass eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor essenziell ist. Das Freiburger Ökosystem mit seinen zahlreichen Hochschulen, Technologiecampus, Förderprogrammen, Cluster und Gesundheitseinrichtungen ist ein fruchtbarer Boden für gemeinsame Projekte am Schnittpunkt von akademischer Forschung und industriellem Know-how. Die Beschleunigung der Regulierungsprozesse in der Schweiz und die weitere Steigerung der – bereits hohen – Investitionen in F&E sind prioritär, um unsere Position auf der internationalen Bühne zu stärken. Ausserdem könnte eine offensichtlichere Integration der Nachhaltigkeit in die Life Sciences gegenüber anderen Akteuren oder Ländern einen echten Wettbewerbsvorteil darstellen.

Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit zwischen Industrie, Behörden und akademischen Institutionen?

René Jenny: In der Schweiz ist die Zusammenarbeit zwischen diesen verschiedenen Akteuren international anerkannt und zählt weltweit zu den besten. Initiativen wie TechTransfer an der Universität Freiburg sind hervorragende Beispiele für die Synergie zwischen Industrie und Hochschulen. Als weiteren Schritt könnte eine stärkere Einbindung von Start-ups in diese kollaborativen Projekte die Innovation noch beschleunigen, insbesondere im Bereich der digitalen Gesundheit.

Beat Vonlanthen: Diese Zusammenarbeit stellt für die Schweiz einen wichtigen strategischen Vorteil dar. Die Unternehmen haben ein offenkundiges Interesse, mit den Universitäten und Fachhochschulen zusammenzuarbeiten, um innovative Produkte zu entwickeln. Indem die Gründung von Start-ups aktiv gefördert wird, insbesondere im Bereich der Medizintechnik, wird unsere Position auf dem Weltmarkt gestärkt und das Ökosystem der Innovation stimuliert.